Was ist eigentlich diese „User Experience“ und wozu brauche ich das?
- Vergleiche hinken, aber...
Wenn Sie sich mit der Gestaltung einer Website befassen, stoßen Sie früher oder später auf den Begriff „User Experience“. Aber was ist das eigentlich und wozu brauchen Sie das?
Wikipedia definiert „User Experience“ oder auch „UX“ als „Nutzungserlebnis“ , das „alle Aspekte der Eindrücke eines Nutzers bei der Interaktion mit einem Produkt, Dienst, einer Umgebung oder Einrichtung“ umfasst. Klingt soweit erst einmal gut, allerdings auch reichlich abstrakt.
Vergleiche hinken bekanntlich, tragen aber zur Klärung des Sachverhalts bei:
Stellen Sie sich also vor, Sie möchten allein (oder idealerweise mit einem lieben Menschen) Essen gehen. Im Telefonbuch finden Sie die Adresse eines Restaurants, vor Ort jedoch nur ein vergilbtes Pappschild, auf das ein Kind (?) mit Buntstift einen krakeligen Pfeil gemalt hat. Als geborener Abenteurer folgen Sie dem Pfeil auf einen mit Müllsäcken vollgestellten Hinterhof. Neben einer toten Katze finden Sie schon nach kurzer Zeit den Eingang zum Restaurant und stemmen sich gegen die leicht verzogene Eingangstür.
Der Gästeraum ist mit einer flackernden 4-Watt-Birne eher verdunkelt als beleuchtet; trotz einiger Schienenbeinprellungen gelingt es Ihnen aber dennoch, sich zu einem Tisch vorzuarbeiten. Das Tischtuch hat schon bessere Tage gesehen und das quer darüber verstreute Besteck wurde offensichtlich schon von einigen Gästen vor Ihnen benutzt. Nach ungefähr zweistündiger Wartezeit im ungeheizten Restaurant erscheint der Koch - ein mürrisch dreinblickender Herr, angetan mit einem verschwitzten Feinrippunterhemd und einer fleckigen Jogginghose. Ihre Frage nach der Speisekarte wird vom Koch mit einem mürrischen Grunzen quittiert, schließlich wirft er Ihnen aber die Karte auf den Tisch. Aus Richtung der Küche weht während dessen ein streng fischiger Geruch zu Ihnen herüber. In der Hoffnung, es möge gerade Fischtag sein, fragen Sie nach einer Bouillabaisse und was diese denn kosten würde. Der Koch starrt Sie ungefähr fünf Minuten lang an und knurrt dann, dass Sie das schon noch herausfinden würden.
Wenn Sie jetzt immer noch eine Bestellung aufgeben, sind Sie extrem hartgesotten. Andernfalls haben Sie nun eine gute Vorstellung von einem wirklich katastrophalen Nutzungserlebnis.
Zeit für einen kurzen Zwischenstand: Auf der funktionalen Ebene gab es wenig an Ihrem Restaurantbesuch auszusetzen - Sie haben das Restaurant gefunden, es war geöffnet, Sie haben einen eingedeckten Tisch bekommen und hatten die Möglichkeit, eine Bestellung aufzugeben.
Was diesen Restaurantbesuch trotzdem zu einem unschönen Erlebnis macht, sind also nicht die "harten", sondern vielmehr die "weichen" Faktoren.
Was hat das nun mit dem Internet zu tun? Also - wie finden Sie die folgende Website:
Würden Sie auf dieser Website* ein Auto kaufen oder Ihre Kreditkartendaten eingeben? Wahrscheinlich eher nicht. Warum? Die Seite mag sauber programmiert sein und fehlerfrei funktionieren, sie sieht aber alles andere als vertrauenswürdig aus - sprich: Diese Seite vermittelt kein gutes Nutzungserlebnis.
Clark Wimberly hat in „5 Simple UX Principles to Guide your Product Design“ einige zentrale Kriterien für ein gutes Nutzungserlebnis formuliert:
1. Trust
Grundsätzlich dient jede nichtprivate Website der Anbahnung eines Geschäfts in irgendeiner Form - egal, ob Sie ein Produkt an einen Privatkunden verkaufen möchten oder eine Leistung an einen Geschäftskunden. Die unabdingbare Voraussetzung für das Zustandekommen eines jeden Geschäfts ist Vertrauen und deshalb sollte eine Website vertrauenswürdig wirken. Vertrauen kann durch eine Vielzahl von Maßnahmen aufgebaut werden: Nutzer geben z.B. auf einer Seite persönliche Daten vor allem dann ein, wenn Sie in der Adressleiste des Browsers sehen, dass die Seite via SSL geschützt ist. Kaufabschlüsse kommen online eher zustande, wenn vorab ausführlich über Rückgabemöglichkeiten informiert wurde, Ansprechpartner auf einer Website wirken seriöser, wenn sie nicht einfach nur "Max" oder "Tobi" heißen, sondern mit vollem Namen genannt werden.
2. Familiarity
Menschen fühlen sich in vertrauten Umgebungen sicher. Neue, nicht vertraute Umgebungen erzeugen dagegen bei den meisten Menschen Stress. Und Stress ist wiederum keine gute Grundlage, um ein Geschäft anzubahnen (siehe oben). Arbeiten Sie deshalb bei der Gestaltung einer Website mit Elementen und Funktionalitäten, die Ihren Besuchern vertraut sind: Der Klick auf ein Hamburger-Icon öffnet ein Menü, der Klick auf ein Lupen-Icon dagegen die Suche, das Firmenlogo im Header ist ein Link, der zur Startseite führt usw..
Und denken Sie daran: Innovationen sind großartig - wenn Sie jedoch mit dem Anspruch antreten, etwas zu tun, was sonst niemand tut, nehmen Sie sich zumindest einen kurzen Moment für die Frage, woran das liegen könnte. (In der Regel gibt es zwei mögliche Antworten: 1. Sie sind ein Genie. 2. Ihre Idee ist vielleicht doch nicht so gut.)
3. Digestibility
Eine Website sollte leicht konsumierbar, d.h. vor allem mit möglichst wenig Aufwand leicht verständlich sein. Idealerweise können Besucher einer Website sofort intuitiv erkennen, wie sie funktioniert. Alle verwendeten Elemente sollten daher soweit wie möglich selbsterklärend sein. Beispiel: Ein Button mit der Beschriftung "Absenden" ist selbsterklärend. Ein Button mit der Beschriftung "Weiter" ist dagegen eine Fragestellung (Weiter wohin?).
4. Clarity
Für jeden Besucher einer Website muss sofort deutlich erkennbar sein, worum es auf der Seite geht. Verwenden Sie deshalb eine klare Sprache und stellen Sie den Nutzen Ihres Angebots in wenigen prägnanten Sätzen heraus. Oder in den Worten von Clark Wimberly: „Explain things like you’d want them explained to you. Make things as clear as you can.”
5. Delight
Und zu guter Letzt: Eine Website soll Spaß machen, es soll eine Freude sein, sie zu benutzen. Das kann nicht nur durch eine ansprechende graphische Gestaltung erreicht werden - am Besten ist, wenn sich eine Website so einfach nutzen lässt, dass der Benutzer nicht mehr über das "Wie" nachdenken muss, sondern sich voll und ganz auf sein eigentliches Ziel konzentrieren kann.
Zusammengefasst meint User Experience also, wie sich eine Website "anfühlt", ob sie leicht und angenehm zu bedienen ist. Bedenken Sie immer, dass SIE etwas von den Besuchern Ihrer Website möchten und nicht umgekehrt - sei es, ein Produkt zu verkaufen oder eine Leistung. Nehmen Sie sich deshalb Zeit dafür, Ihre Website so zu gestalten, dass Ihre Besucher ein angenehmes Nutzungserlebnis haben und mit möglichst geringem Aufwand und in kürzester Zeit zu den Inhalten gelangen, die Sie transportieren wollen. Ein Mittel dazu ist „User Experience-Design“.
PS: Eng verwandt mit „User Experience“ und oft nicht scharf abgrenzbar ist übrigens der Begriff „Usability“. Dazu mehr in einem späteren Beitrag.
* Tatsächlich handelt es sich bei der "Worst website ever" um eine Parodie von den Kollegen der Explorations Media Group, die in einer Website alles gebündelt haben, was das Internet an Scheußlichkeiten zu bieten hat.
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